Das schickt sich nicht – Nation wie Hose

Oder: Die Unsittlichkeit von heute in Deutschland: Was Nationales denken oder sogar sagen.

Wie sich doch die Zeiten ändern und wie sie doch immer wieder Gleiches durchzieht. Ganz arglos greife ich Stefan Zweigs „Welt von gestern“ wieder auf und lese dort eine treffende Beschreibung der Prüderie um 1900 in der österreich-ungarischen KuK-Doppelmonarchie. Die Kleidung der Frauen und Männer war zwanghaft genau geregelt:

„Durch diese unnatürliche Auseinanderspannung im äußeren Habitus musste auch die innere Spannung zwischen den Polen, die Erotik, sich verstärken, und so erreichte dank ihrer unpsychologischen Methode des Verhüllens und Verschweigens die Gesellschaft von damals genau das Gegenteil. Denn da sie in ihrer unablässigen Angst und Prüderie dem Unsittlichen in allen Formen des Lebens, Literatur, Kunst, Kleidung ständig nachspürte, um jede Anreizung zu verhüten, war sie eigentlich gezwungen, unablässig an das Unsittliche zu denken. Da sie ununterbrochen forschte, was unpassend sein könnte, befand sie sich in einem unablässigen Zustand des Aufpassens; immer schien der damaligen Welt der ‚Anstand‘ in tödlicher Gefahr: bei jeder Geste, bei jedem Wort. Vielleicht wird man heute noch verstehen, dass es in jener Zeit als Verbrechen gegolten, wenn eine Frau bei Sport oder Spiel eine Hose angelegt hätte. Aber wie die hysterische Prüderie begreiflich machen, dass eine Dame [ein Politiker] das Wort ‚Hose‘ [deutsche Nation] damals überhaupt nicht über die Lippen bringen durfte? Sie musste, wenn sie schon der Existenz eines so sinnengefährlichen Objekts wie einer Männerhose überhaupt Erwähnung tat, dafür das unschuldige ‚Beinkleid‘ [europäisches Staatsgebilde] oder die eigens erfundene ausweichende Bezeichnung ‚Die Unaussprechlichen‘ wählen.“ (S. 96f.)

Wahrscheinlich werde ich damit schon recht haben, dass der Begriff der Nation für Linke, jedenfalls für deutsche, tabu ist. Wenn es nicht so wäre, kämen wir vielleicht mit unseren Lebenslinien weiter und Meta könnte sich endlich in Teil IV zur Frage äußern: „Sag‘, wie hältst du es mit der Nation?“

Wie zeigt sich die Prüderie im Umgang mit dem Thema „Nation“ heute noch in Deutschland? „Eine Schülerin teilt bei Tik-Tok ein Schlumpf-Video mit AfD-Bezug (‚Schlümpfe sind blau, und Deutschland auch‘), schreibt außerdem: Deutschland sei für sie nicht nur ein Ort, sondern  Heimat.“ (BILD am Sonntag vom 17.03.24, S.8) Da müssen die Alarmglocken schrillen bei den guten Menschen. Der Schuldirektor ist auch so einer: Er „ruft den Staatsschutz, drei Polizisten führen das Mädchen aus dem Chemie-Unterricht ab zur Gefährderansprache! Und raten der Schülerin, derlei Posts künftig zu unterlassen – ‚zu ihrem eigenen Schutz‘!“ Was, wenn nicht? Fällt dann eine linke SA über sie her (gegen die der Staatsschutz dann natürlich weder was machen kann noch will). Die SPD war ja 1933 nach der Machtergreifung der Nazis auch noch einige Monate – bis zum 22.06.33 – eine legale, im Reichstag vertretene Partei.

Sicher hätten damals besorgte Vertreter der Sicherheitsorgane des Nazi-Staats auch davon abgeraten, öffentlich Partei für die SPD zu ergreifen. „Tun Sie das zu Ihrem eigenen Schutz nicht.“ So weit sind wir, dass die Staatsmacht Schulmädchen mit drei Polizisten Angst macht, das Video einer im Bundestag vertretenden legalen Partei zu teilen und das auch noch mit einer – erwiesen rechtsextremistischen – Meinung zu verbinden: Für mich ist Deutschland nicht nur ein Ort, sondern Heimat. Wehret den Anfängen!

Wenn ich die Diskussion über das Trikot der deutschen National-Fußballmannschaft richtig verstehe, gab es dort offenbar auch schon eine Gefährderansprache: Schwarz-Rot-Gold ist gestrig. Diese Farben stehen für das alte Konzept der Nationen. Wir warnen Sie. Wählen Sie lieber die internationalen Farben des Regenbogens.

Gerade lese ich von einem geschätzten Autoren, Don Alphonso, auf Welt.de einen Artikel zum Thema dieses Beitrags, den ich sehr gedankenvertiefend und -bereichernd finde (wie fast alle von ihm), auf den ich hier unbedingt verweisen möchte: Heimatliebe unter Generalverdacht und Erlebnisse rücksichtsloser Ungerechtigkeit.

 

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